Von Innsbruck nach Salzburg - Tag 5
Samstag, 29. Juli 2017
Unken – Schneizlreuth – Bad Reichenhall – Bayrisch Gmain – Fürstenbrunn – Salzburg (ca. 42 Km)
Heute stand die letzte, die längste und auch die Königsetappe an. Wenn meine Füsse und mein Willen durchhielten, würde ich in Salzburg einmarschieren. Und zwar nicht irgendwann, sondern am Nachmittag. Denn Oma hatte heute Geburtstag und der Tisch im Biergarten "Zum Hahnei-Huaba" war bereits reserviert. Ich durfte da schon aus rein familiären Gründen nicht fehlen.
Den Check-out im Landhotel Kirchenwirt erledigte ich bereits am Vorabend. Anstelle des Frühstücks bekam ich ein Lunchpaket mit zwei Sandwiches, einem Apfel, zwei Tafeln Schokolade und einem Wasser. Damit liesse es sich vorerst gut auskommen.
Der willkommene Unterschied zu den Wandertagen zuvor war, dass bereits die Sonne schien und der Himmel heute statt mit der Farbe grau mit hellblau eingepinselt war. Die Sonnenstrahlen leuchteten durch die feuchten Grässer, Büsche und Blätter und warfen ein angenehmes, warmes Licht auf den Boden. Es herrschte eine friedliche Stimmung und es zeichnete sich ein wunderschöner Tag ab.
Und dann, noch ehe ich die Staatsgrenze nach Deutschland überquerte waren sie da: Die Pilger! Eine Gemeinschaft von etwa 20, eher älteren Mitmenschen durchmischt mit Männlein und Weiblein, marschierten frommen Schrittes mir entgegen. Sie gingen dabei in einer geordneten Zweierreihe, wobei die vorderen Pilger ein etwa drei Meter langes und eineinhalb Meter breites solides Holzkreuz buckelten.
Eine freundliche Stimme rief mir zu: "Schliess Dich uns an und komm doch gleich mit uns mit." Die ganze Szene ging so schnell vorbei wie sie gekommen ist und schups waren sie auch wieder weg. Doch ich, zwar auf dem Tiroler Jakobsweg wandernd, war kein Pilger. Ich musste mich nicht an die genaue Wegführung halten, ich durfte meinen Weg nach Gusto aussuchen, durfte Abkürzungen nehmen und musste kein Kreuz tragen. Zudem lief ich in die entgegengesetzte Richtung und was ich schon hinter mich gebracht hatte, wollte ich nicht noch einmal ablaufen. Zudem lag Schneizlreuth bereits auf der Zielgeraden und wenig später würde Bad Reichenhall folgen. Und, dann war es in der inzwischen vertrauten Region nicht mehr so weit bis zu meinem Ziel: Die Durchschreitung des Siegmundstors zur Salzburger Innenstadt.
Doch zu diesem Zeitpunkt waren das alles noch Träumereien. Die Strecke entlang des Saalachsees zog sich (gefühlt) enorm in die Länge. Als ich schliesslich in Bad Reichenhall eintraf musste ich mir erst eine Route überlegen, wie ich denn am besten zu Fuss nach Salzburg gelangen könnte, ohne dabei ständig am Strassenrad entlang gehen zu müssen.
Ich entschloss mich über die Ortschaft Bayerisch Gmain in den Naturschutzpark Unterberg zu gelangen, um dort das Wanderwegnetz nach Fürstenbrunn zu nutzen. Dies bedeutete zwar, dass einige hundert Höhenmeter rauf und runter dazukamen, dafür verlief der Weg fernab vom Verkehr.
Doch das dichte Wanderwegnetz und die üppig besiedelte Umgebung machten eine Orientierung nicht einfach. Auf der Strecke nach Grossgmain verlief ich mich mehrere Male, da die Wanderwegmarkierungen verwirrten bzw. fehlten oder ich sie schlichtweg nicht fand. Um sicher zu gehen, dass ich auf den richtigen Wanderweg kommen würde, lief ich der B20 dem Augustinergraben entlang bis zum Wanderparkplatz, wo schliesslich der bekannte Alpen-Weitwanderweg Nr. 404 in Richtung Salzburg abzweigte. Diesem würde ich nun bis Salzburg folgen.
Der Weg bis nach Fürstenbrunn zehrte an meinen Kräften. Ich wollte immer wieder eine Mittagspause in einem Restaurant einlegen, doch irgendwie fand ich den passenden Ort nicht. In Grossgmain war es noch zu früh; auf der Wolfschwangalm wäre ein Abstecher notwendig gewesen; der Latschenwirt erschien mir zu schick und in Fürstenbrunn hatte das Dorfrestaurant geschlossen. Einzig das Restaurant Esterer blieb noch übrig.
Als ich den tollen Garten des alten Landgasthofs betrat, fiel mir sofort auf, dass viele Gäste auf ihr Essen warteten. Entsprechend entschloss ich mich, nur einen Kuchen mit zwei grossen Coca-Colas zu bestellen. Schliesslich würde es am Abend ja genügend zu Essen geben. Jedoch blieb der Kuchen nach dem austrinken der beiden Colas immer noch aus. Auf ein Nachfragen hiess es, dass die Bestellungen für das Essen in der Reihenfolge des Bestellungseingangs bearbeitet würden. Sprich, wenn alle hungrig aussehenden Gäste Ihr Gericht hätten, würde man mir ein Stück des fertigen Kuchens abschneiden und servieren.
Das ging mir zu lange und war für unsereins unverständlich. Ich annullierte den Apfelkuchen und bestelle die Rechnung. Dies war jedoch auch nicht möglich. Denn nur die Chefin alleine war zuständig für die Zahlungsformalitäten. Aber die war in der Küche am Kochen. Also ging ich, so wie alle Gäste die zahlen wollten, in die Küche und wartete geduldig bis die liebe Frau Zeit fand. Über den Preis von 10.- Euro für zwei Cola ärgerte ich mich nicht lange. Höchstens für die Zeit, die ich ohne etwas zu essen in dem Etablissement verbrachte. Schliesslich war der Weg noch lange und Oma's Abendessen dauerte auch noch ein bisschen.
Die ausgebliebene Nahrungsaufnahme rächte sich jedoch bald. So fühlte ich mich plötzlich schwach, schwindelig und ausgebrannt. Ich musste mich hinsetzen und mir wurde schlecht. Ein Snickers, um Kalorien nachzuschieben, bekam ich nicht mehr runter. Auch Flüssigkeit verweigerte mein Körper plötzlich. Langsam wurde mir bewusst, was ich meinem Körper die letzten Tage alles zugemutet hatte. Jeden Tag einen Marathon gehen war er nicht gewohnt.
Es war der Moment kurz vor dem Ziel, wo ich mir nicht mehr sicher war, ob ich wirklich weitergehen wollte und konnte. Sämtliche Energie hatte ich verloren und auch der Wille es zu Ende zu bringen wich langsam den schmerzenden Füssen und Beinen.
Nach einer halben Stunde ging es wieder ein wenig besser. Ich konnte fortan etwas trinken, der Schwindel und das Schwitzen waren vorüber. Es hatte viele andere Leute um mich herum. Fahrradfahrer, Spaziergänger, Gassigeher etc. Im Falle, wenn ich umkippte, würde ich also schnell entdeckt werden und Hilfe wäre da. Ich sah das Risiko als vertretbar an und spazierte sehr gemächlich weiter.
Die schmerzenden Füsse und verkrampften Beine schleppten mich nur sehr langsam weiter. Doch allmählich kam ich dem Zentrum von Salzburg näher. Bald stand ich vor dem eindrücklichen Tor des Siegmunds dessen Tunnel ich wenig später passierte und in das Zentrum von Salzburg gelangte.
Es war für mich ein sehr emotionaler Moment. Die vergangenen Tage waren sehr wanderintensiv, die Füsse und Beine schmerzten und pochten und das einzige was galt war Salzburg als gestecktes Ziel zu erreichen. Nun war ich angekommen und es machte sich in mir eine Zufrieden- und Glücklichkeit breit. Die letzten Tage waren nur sehr wenige Dinge für mich wichtig. Die allermeiste Zeit verbrachte ich alleine und nur mit mir. Nun hatte ich mein gestecktes Ziel erreicht und war endlich da.
Der Weg zum Salzburger Hauptbahnhof hatte es auch nochmals in sich. Ich schleppte mich regelrecht dorthin und jeder Schritt war eine Tortur. Als ich im Zug nach Freilassing sass, war ich emotional so am Ende, dass ich den Tränen nah war. Doch für Erholung und ausruhen war noch keine Zeit. Am Tisch für die Geburtstagsgesellschaft von Oma trafen zu diesem Zeitpunkt bereits die ersten Gäste ein. Eine Dusche, frische Kleider, ein paar Schmerztabletten und humpelnd ging es mit einem müden jedoch glücklichen Lächeln in den Biergarten.