Nordgrat Dirruhorn (4'035 m)
Die eigenen Grenzen erweitern: Eine sehr lange und anstrengende Hochtour auf den nördlichsten Gipfel des Nadelgrads mit 2'500 Höhenmetern im Auf- und fast 3'000 Höhenmetern im Abstieg. Manchmal will man eben wissen, was geht!
Samstag, 09. August 2025
Als Vorbereitung auf unser Matterhornvorhaben Ende August wollten Dominik und ich ein weiteres Mal in den höheren Lagen “Trainieren”. Dafür peilten wir das 4’034 Meter hohe Dirruhorn zwischen dem Walliser Saas- und Mattertal an.
Das Dirruhorn (ehemals Dürrenhorn) bildet den Abschluss des bekannten Nadelgrats, der sich vom Gipfel über die Selle und das Chli Dirruhorn zum Galenjoch absenkt. Im Unterschied zu seinen Kumpanen besteht das Dirruhorn praktisch ausschliesslich aus Fels. Die SAC-Literatur sagt, dass der Name aus dem Walliser Dialekt: «dirr» bedeutet «dürr» oder «trocken» stammt. Vermutlich wurde der Name von «Dirrufad» (dürrer Pfad), einer sehr trockenen, genau nach Süden ausgerichteten Bergwiese unter dem Dirrugrat, auf Grat, Gletscher und Gipfel übertragen.
Die grossen Besucherströme bleiben bei diesem Gipfel aus, da sich alle Hütten in grosser Entfernung befinden. Entsprechend war auch unser Ausgangspunkt, das kleine Dorf Gasenried (1’660m) oberhalb von Grächen, relativ weit unten im Tal. Die Anreise dahin erfolgte mit dem Zug nach Visp und mit dem Bus über Grächen nach Gasenried, wo wir im Hotel Alpenrösli ein einfaches Zimmer für die Übernachtung gebucht hatten.
Ich kannte den Ort und die Unterkunft bereits von der Tour auf das Gross Bigerhorn, wo ich 2022 mit Emilia unterwegs war. Nachdem wir das Zimmer bezogen hatten, setzten wir uns auf die Sonnenterrasse, um Abend zu Essen. Die Portionen waren allerdings sehr klein und es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, ehe wir etwas auf den Tisch bekamen. Damit wir nicht hungernd zu Bett gingen, bestellen wir noch jeweils zwei Stücke Aprikosenkuchen zum Dessert. Bergsteigerportionen werden hier definitiv nicht serviert.
Sonntag, 10. August 2025
03:30 Uhr Tagwache. Es war eine unruhige Vollmondnacht. Das bereitgestellte Frühstück entsprach nicht der Vereinbarung. Doch in der Küche wurden wir fündig. Um 04:15 Uhr schritten wir los, im Licht des Mondes und unserer Stirnlampen, den Berg hinauf, in Richtung Alpja.
Hell wurde es erst gegen 06:00 Uhr, als wir bereits auf der westlichen Moräne des Riedgletschers hinaufstiefelten. Es war ein steiler und unwegsamer Anstieg hinauf zu Pt. 2707, dem Wegpunkt, wo wir den normalen Bergpfad verliessen. Wie im SAC-Führer beschrieben, umgingen wir die Erhebung bei Pt. 3028 in einem Bogen nach Westen, steuerten südwärts und erreichten kurz nach 08:00 Uhr das Galenjoch.
Noch lagen wir in unserem Zeitplan, doch der lange Nordgrat zum Chli Dirruhorn und weiter über die Selle zum Hauptgipfel des Dirruhorns schätzten wir mit den aktuellen Verhältnissen falsch ein. Der Nadelgrat zog sich schier endlos dahin und trotz konstanter, anregender Kletterei kamen wir dem Ziel nur langsam näher. Der Grat war komplett firnfrei und es gab einige Schutt- und Kletterpassagen, die wir sicherten, was eine speditive Begehung erschwerte.
So kam es, dass wir erst um 13:00 Uhr nach 9 Stunden Aufstieg, den Gipfel erreichten. Immerhin hatten wir seit dem Start in Gasenried 2'500 Höhenmeter hinter uns gebracht. Doch wirklich zufrieden waren wir mit der benötigten Zeit nicht, da wir eine andere Annahme trafen, an welcher wir uns orientierten und massen. Dies verblasste auch ein wenig das Gipfelerlebnis, trotz der eindrücklichen Aussicht auf das mächtige Weisshorn und die ebenso ehrfürchtigen Nachbarn.
Dass wir für den Abstieg zurück zum Galenjoch wiederum gleichviel Zeit wie für den Aufstieg benötigen, war uns zu vornherein klar. Es war bereits 18:00 Uhr, als wir das Galenjoch erreichten. Vor uns lag noch ein langer Weg hinunter nach Herbriggen.
Als Abstieg wählten wir eine Route durch das treffend mit dem Namen bezeichnete «Steintälli», denn in dieser grossen Mulde lagen unendlich viele lose Steine. Auf der Höhe von etwa 2'600 Meter trafen wir schliesslich auf den Europaweg, welchem wir in nördliche Richtung bis Pt. 2580 folgten. Hier schwenkten wir auf den sehr attraktiven Abstiegsweg nach Geisstrift (1’645m), welcher lässig über zahlreiche Felsstufen und Felsbänder führte.
Der Weg weiter nach Herbriggen zog sich dahin. Es war bereits dunkel und wir schritten noch immer im zackigen Tempo mit den Stirnlampen auf unseren Köpfen dem Bahnhof des kleinen Ortes entgegen.
Irgendwann galt es dann eine Entscheidung zu treffen. Eine Heimfahrt um diese späte Zeit war nicht mehr realistisch und hätte den bereits schon langen Tag noch zusätzlich verlängert. So beschlossen wir die Nacht in Visp zu verbringen und am nächsten Morgen in der Früh direkt zur Arbeit zurückzukehren.
Als wir dies entschieden und auch ein Zimmer im Hotel Elite am Bahnhof in Visp reserviert hatten, entschleunigte dies die Situation sehr. Wir hatten nun genügend Zeit, um den Zug von Herbriggen nach Visp ungestresst zu erwischen – ja sogar, um im Hotel Restaurant Bergfreund noch mit zwei grossen Panaché auf den geglückten Abschluss der Monstertour anzustossen.
Der Name «Bergfreund» war so treffend, wie die netten Leute im Gasthof, die uns willkommen hiessen. Obwohl es schon spät war, wurde für uns noch ein grosses, superleckeres Sandwich zubereitet – und dies zu einem Preis, der mehr als anständig war. Vielen Dank dafür!
Als wir uns im Hotel Elite ins Bett legten, musste ich den Tag nochmals kurz rekapitulieren lassen: Wir waren doch tatsächlich 18 Stunden auf den Beinen, hatten 2'500 Höhenmeter und 2'900 Tiefenmeter auf einer Strecke von 18.5 Kilometern hinter uns gebracht. Wenn das nicht mal eine Leistung für einen Tag war. Der Muskelkater war garantiert und die eine oder andere Druckstelle an den Füssen ebenfalls. Doch für mich war es, was die Anzahl an Höhenmetern im Auf- und Abstieg anbelangte, ein Rekord.
Kraft, Ausdauer, Akklimatisation, Technik, Konzentration und Psyche wurden trainiert – genau um diese Faktoren ging es bei dieser Tour.