Unterwegs im Lattengebirge

Wanderung auf den Busen der Schlafenden Hexe, zur Steinernen Agnes und auf den Karkopf.

Die Steinerne Agnes
Die Steinerne Agnes

Samstag, 26. April 2014

Ein Blick auf den Wecker zeigt 05:30 Uhr. Draussen ist es neblig und feucht. Anscheinend hatte es in der Nacht geregnet. Eigentlich wollte ich jetzt losziehen, um am frühen Nachmittag wieder zu Hause zu sein. Doch im feuchten Wolkenmeer wollte ich nicht umherwandern. Kurzentschlossen drehte ich den Wecker drei Stunden vor und klappte die Decke nochmals über mir zu.

Noch schläft die Hexe und hüllt sich in ihre Wolkendecke - Das Lattengebirge
Noch schläft die Hexe und hüllt sich in ihre Wolkendecke - Das Lattengebirge

Es war 09:00 Uhr. Ich stand auf dem Wanderparkplatz bei Hallthurmmoos, welcher auch als Hexenparkplatz bekannt ist. Noch immer sind eine hohe Feuchtigkeit und Nebelschwaden in der Luft. Irgendwie authentischer als bei schönstem Sonnenschein eine Hexe zu besteigen. Mein heutiger Plan war, den Sehenswürdigkeiten des Lattengebirges einen Besuch abzustatten. Dazu zählten die Schlafende Hexe, die Steinerne Agnes und der höchste Gipfel, der Karkopf des Massives.

Aufstieg zum Rotofen im Buchenwald.
Aufstieg zum Rotofen im Buchenwald.

Doch woher kam die Bezeichnung „Schlafende Hexe“? Die versteinerte Hexe am Predigtstuhl erzählt von einer Hexe vor mehr als tausend Jahren, die sich in die Einsamkeit der Gebirgswelt zurückgezogen hatte, weil sie die Menschen und vor allem die Christen und ihre Missionare nicht leiden konnte. Oft trat sie den Gläubigen, die betend über den Hallthurmpass zum Grab des heiligen Zeno heraufkamen, als freundliche Wirtin entgegen. Doch das angebotene Getränk hatte sie vergiftet und so viele unschuldige Menschen ums Leben gebracht. Manchmal versteckte sie sich auch an einer Stelle des Weges, wo die Felsen ganz steil abfallen und rollte Steine auf die Wanderer herab. „Wieder einer weniger“, freute sich die Hexe jedes Mal, wenn es ihr gelungen war, einen Christen zu töten. So wollte die böse Hexe den Einzug des Christentums in das Berchtesgadener Land verhindern. Als der Gottesmann Martinus auch den Weg über den Hallthurm nahm, um den Menschen im Berchtesgadener Land zu predigen, wälzte die Hexe einen schweren Felsbrocken herab. Durch das donnernde Geräusch gewarnt konnte er zur Seite springen und sich in Sicherheit bringen. Die Hexe brachte erneut einen Steinblock ins Rollen. Da hielt Martinus ihr ein grosses Kreuz, das er um den Hals hängen hatte, entgegen. Wie die Sage weiter berichtet, lief im gleichen Augenblick ein Zittern durch das Gebirge und es ertönte ein fürchterliches Grollen wie tausend Donner zusammen. Mit unwiderstehlicher Gewalt wurde die Hexe zu Boden geschleudert und in Stein verwandelt. Martinus aber konnte ungefährdet weiterziehen.

Da der Berggipfel Rotofen vom Tal aus betrachtet auch heute noch dem Profil einer liegenden Frau ähnelt, wird er im Volksmund als Schlafende Hexe bezeichnet. Sowohl aus südöstlicher als auch aus nordwestlicher Richtung ist dabei der Kopf mit dem Kinn und der markanten Nase sowie die Brust deutlich zu erkennen. Die Brust („Hexenbusen“) wird vom Mittleren Rotofen (auch Signalkopf genannt) gebildet. Der Vordere Rotofen besteht aus dem die Nase bildenden Grossen Rotofenturm und dem Kleinen Rotofenturm, welcher das Kinn darstellt.

Mein erstes Ziel war also der Hexenbusen. Dieser war gut mit einfacher Kletterei vom Rotofensattel her zu erreichen. Einzig bei so feuchtem Wetter wie heute musste man jeden Schritt auf dem glitschigen Kalk abwägen. Leider drang die Sonne noch nicht bis zum Gipfelkreuz durch; die Aussicht wurde mir verwehrt. Anscheinend hatte sich die gute Frau mit einer Wolkendecke zugedeckt.

Nachdem ich die Kletterroute am Grossen Rotofenturm studiert hatte, schritt ich weiter, der nächsten sagenumwobenen Sehenswürdigkeit entgegen: der Steinernen Agnes. Diese bizarre Felsformation soll einst ein unschuldiges Mädchen auf der Flucht vor dem Teufel gewesen sein. Ihr Körper wurde in Fels verwandelt, ihre Seele aber von zwei Engeln in den Himmel gerettet.

Die Steinerne Agnes
Die Steinerne Agnes

Schon interessant, wie hier alles seine Geschichte hat. In der Zwischenzeit ist die Steinerne Agnes ein ausgezeichnetes Geotop. Sie ist eine von drei Naturschönheiten im Berchtesgadener Land, die vom Bayerischen Landesamt für Umwelt mit dem Gütesiegel "Bayerns schönste Geotope" ausgezeichnet wurden.

Langsam knurrte mein Magen, war ich doch schon drei Stunden unterwegs. Das viele Fotografieren und Herumklettern hatte einige Zeit in Anspruch genommen. Nach einem guten, selbstgemachten Schinkensandwich schritt ich ein wenig zügiger voran. Schliesslich hatte ich heute noch einiges vor.

Auf dem Weg zum Karkopf 1738m (im Hintergrund)
Auf dem Weg zum Karkopf 1738m (im Hintergrund)

Zur meiner Motivation trat nun auch ab und zu die Sonne zum Vorschein und es galt mit zunehmender Höhe Schneefelder zu durchqueren. Die Szenerie änderte fortlaufend und bald lösten Büsche Bäume und schliesslich der Schnee die Büsche ab.

Aussicht auf Bad Reichenhall vom Dreisesselberg
Aussicht auf Bad Reichenhall vom Dreisesselberg

Als ich auf dem Karkopf (1738m – der höchste Gipfel des Lattengebirges) ankam, waren meine Schuhe und Hosenbeine komplett durchnässt. Immer wieder sank ich bis zu den Knien tief im Schnee ein. Dies änderte auch nicht, als ich wenig später vom Dreisesselberg (1680m) nordwärts in Richtung Eichelberg abstieg.

Eine der wenigen Pausen auf der Wanderung. Es war einfach zu schön um anzuhalten...
Eine der wenigen Pausen auf der Wanderung. Es war einfach zu schön um anzuhalten...

Doch nach diesem steilen Abstieg kam schliesslich die Sonne raus und brachte angehende Wandertemperaturen mit. Der Weg hinunter ins Weissbach- und Speichbachtal war wunderschön. Kräftige Föhren, stämmige Buchen, frische Blühten, duftendes Moos - keine Frage, der Frühling hielt Einzug.

Im Canyon des Weissbachtals
Im Canyon des Weissbachtals

Als ich ins Weissbachtal einbog änderte die Szenerie erneut. Ein weisses Kalksteinflussbett in einer riesigen Schlucht mit einem lieblichen Bächlein umrundet von steil abfallenden Berggipfeln präsentierte sich mir. Mir war sofort nach Baden und Barbecue zumute, was – den zahlreichen Feuerstellen und natürlichen Badewannen nach zu urteilen – hier im Sommer wohl auch oft gemacht wird.

Die Hexe fotographiert Südosten im Februar 2010
Die Hexe fotographiert Südosten im Februar 2010

Nach einem kurzen Besuch im Canyon wechselte ich erneut den Wasserlauf. Über den Lattenberg erreichte ich die Löwenschlucht – ein sehr enger, steiler Einschnitt in welcher der Rötelbach floss. Trotz aller abgelegenen Schönheit war ich froh, als ich wieder auf den offiziellen Wanderweg im Tal gelangte. Nach acht Stunden Wandern fühlten sich meine Beine schwer an, der Rücken steif und die Muskeln müde. Nach zwanzig weiteren Minuten erreichte ich wieder den Hexenparkplatz und konnte mit Sicherheit sagen: ja, die Hexe schläft noch immer!

Weitere Fotos